Erfahrungsbericht zur Einschulung

Für Eltern mit sehbehinderten Kindern stellt sich zwangsläufig die Frage, auf welcher Art Schule ihr Kind eingeschult werden soll. Sollte das Kind eine Regelschule besuchen oder besser eine Sonderschule mit entsprechenden Fördermöglichkeiten? Auch wir mussten uns mit diesen Fragen auseinandersetzen und möchten an dieser Stelle die dabei gemachten Erfahrungen teilen.

Bei unserem Sohn wurde okulärer Albinismus festgestellt, wodurch seine Sehkraft stark eingeschränkt ist. Sein Fernvisus liegt bei etwa 10 %, der Nahvisus beträgt ca. 15 %. Aufgrund dieser Einschränkung wurde ihm ein Grad der Behinderung von 75 % zuerkannt.

Da sich unser Sohn im (Kindergarten-)Alltag immer gut zurechtgefunden hatte, wollten wir ihn trotz seiner Sehbehinderung gern an der nächstgelegenen Regelschule in unserem Dresdner Schulbezirk einschulen. Ein wesentlicher Punkt der schulvorbereitenden Maßnahmen war die Diagnostik zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs (Förderschwerpunkt Sehen) an der Landesschule für Blinde und Sehbehinderte. Ziel dieser Untersuchung war es zu klären, ob und unter welchen Voraussetzungen unser Sohn am Schulbetrieb teilnehmen kann.

Im Ergebnis wurde festgestellt, dass er grundsätzlich schulreif ist, solange die für ihn optimale Umgebung geschaffen wird. Beispielsweise wurde dringend empfohlen, dass die Klassenstärke maximal 25 Kinder betragen solle. Dieser Punkt wurde neben einigen anderen Aspekten in einem Auswertungsgespräch thematisiert, an dem neben uns und Vertretern der Blindenschule auch die Direktorin unserer Wahlschule teilnahm. Die Klassenstärke stellte sich in diesem Gespräch zu unserer Überraschung als zentrales Problem heraus. Wir mussten feststellen, dass an den Grundschulen unseres Schulbezirks für alle ersten Klassen Anmeldungen für mindestens 26 Kinder pro Klasse, teilweise sogar bis zu 28 Kinder, vorlagen. In Konsequenz meldete die Direktorin unserer Wahlschule Bedenken an, weil sie die von der Blindenschule gestellten Anforderungen nicht erfüllen könne. Darauf aufbauend wurde dann von der Blindenschule die Empfehlung zur sonderpädagogischen Beschulung in der Landeschule für Blinde und Sehbehinderte ausgesprochen. Begründet wurde dies damit, dass an der Sonderschule die optimalen Lernbedingungen garantiert werden könnten (kleinere Klassenstärke, an Sehbehinderte angepasstes Umfeld etc.). Wir waren von diesem Vorschlag zunächst ziemlich überfahren und vor den Kopf gestoßen. Schließlich waren wir bis zu diesem Zeitpunkt selbstverständlich davon ausgegangen, dass eine inklusive Beschulung in der Regelschule (auf die behinderte Kinder laut Sächsischem Schulgesetz grundsätzlich Anspruch haben) auch im Fall unseres Sohnes möglich sein wird. Und nun wurde uns die Empfehlung gegeben, unseren Sohn in einer 60 Autominuten entfernten Stadt einzuschulen! In diesem Fall würde er jeden Morgen mit dem Taxi abgeholt und am Abend zurückgebracht werden.

Nachdem wir uns etwas gesammelt hatten, lehnten wir den Vorschlag auf sonderpädagogische Beschulung an der Blindenschule schließlich ab und bestanden darauf, dass die inklusive Beschulung vor Ort zumindest erst einmal probiert wird. Uns war wichtig, dass unser Sohn wohnortnah zur Schule geht, damit er nach dem Unterricht seine Freunde treffen kann und genügend Zeit für Hobbys und für die Familie bleibt. Sollte die Regelbeschulung nicht funktionieren – so unsere Meinung – könnte er immer noch an die Sonderschule wechseln. Wir setzten uns daraufhin außerhalb des Auswertungsgesprächs in der Blindenschule noch einmal mit der Direktorin unserer Regelschule in Verbindung und legten ihr unseren Standpunkt dar. Wir betonten, dass wir Verständnis dafür haben, dass die im sonderpädagogischen Gutachten formulierten Anforderungen im normalen Schulalltag nicht in dieser Form umsetzbar sein würden, dass uns eine wohnortnahe Beschulung jedoch wichtiger sei. Nach schulinterner Rücksprache mit ihrem Lehrerkolleqium konnte sie uns schließlich eine Zusage geben. Wir waren überglücklich darüber und gingen mit viel Vorfreude auf die Einschulung zu.

Im Laufe des ersten Schuljahres stellte sich dann schnell heraus, dass wir genau die richtige Entscheidung getroffen hatten. Unser Sohn (der inzwischen in der 2. Klasse ist) hat in der Schule schnell Anschluss gefunden und ist im Klassenverband gut angenommen. Nicht bestätigt hat sich auch unsere Befürchtung, dass er aufgrund seiner Behinderung und seines äußeren Erscheinungsbildes (weiße Haare, zitternde Augen) geärgert werden könnte. Dem Unterricht kann er mit den ihm zur Verfügung gestellten Hilfsmitteln (siehe untenstehende Auflistung) gut folgen, weshalb wir bislang auch nicht mit ernsthaften Leistungsproblemen konfrontiert sind. Selbst am Sportunterricht kann er (mit gewissen Einschränkungen) teilnehmen.

Unterstützt wird unser Sohn im Schulalltag durch die folgenden technischen Hilfsmittel:

  • Hellfeldlupe für das Lesen auf dem Arbeitsplatz
  • Monokular für das Lesen in der Ferne, besonders an der Tafel

Diese Hilfsmittel wurden von der Landesschule für Blinde und Sehbehinderte individuell für ihn ausgewählt und von der Krankenkasse bezahlt. Eine Arbeitsstation mit Kamera und Monitor war auch angedacht, hat sich aber bisher als nicht erforderlich herausgestellt. Die Grundschule und die Landesschule für Blinde und Sehbehinderte unterstützen ihn zudem auf folgende Weise:

  • Bereitstellung eines kippbaren Tischs mit Leselampe
  • Bereitstellung vergrößerter Arbeitsblätter
  • Gewährung von Inklusionsstunden für den Klassenlehrer
  • eine Hospitation pro Schuljahr durch einen Vertreter der Landesschule für Blinde und Sehbehinderte mit anschließendem Auswertungsgespräch
  • Gewährung maßvoller Ausnahmeregelungen (er darf z.B. von seinem Platz in der ersten Reihe aufstehen, wenn er an der Tafel etwas nicht erkennt)

Zusammenfasend sind wir sehr froh, dass wir die Entscheidung getroffen haben, unseren Sohn trotz seiner Sehbehinderung inklusiv in der Regelschule einzuschulen. Für unseren Sohn und auch für uns als Familie war das definitiv die beste Lösung.

Auf Grundlage der von uns gemachten Erfahrungen möchten wir alle Eltern sehbehinderter Kinder ermutigen, die Regelbeschulung zu wagen und stehen bei Fragen gern zur Verfügung.

Bericht von Stephan Uhlig